2016

"Schreiben ist eine Lebensentscheidung"
Interview mit Sabine Gruber über ihren neuen Roman, den Erfolg des Buches, die Selbstzweifel, den Spagat zwischen Realität und Fiktion
und die Macht und die Ohnmacht der Bilder.
Von Christoph Franceschini für das salto-magazin,
das Nachrichten- und Community-Portal für Südtirol
am Montag, 1.8.2016

"Ein einsamer Beruf"
Barfuss - das Südtiroler Onlinemagazin
August 2016

 

2015

"Literatur darf Widersprüche einarbeiten" Das Gespräch führte Brigitte
Schwens-Harrant. In: DIE FURCHE Nr. 46 Wien: 12.11.2015 Feuilleton
S.18


2013


"Drauflos schreiben gibt es bei mir nicht" (Interview):
Wiener Zeitung vom 02.08.2013



"Den Übersehenen Gehör verschaffen" über China und den Roman
"Stillbach oder Die Sehnsucht" Sabine Gruber im Gespräch mit Pia Janke
In: JELINEK(JAHR)BUCH 2013 hrsg. von Pia Janke Wien: Praesens
Verlag 2013 S.168-179


2012

Über das Vorfindliche hinaus. Interview mit Dieter Scherr
In: Autorensolidarität Börseblatt österreichischer Autorinnen, Autoren
& Literatur Nr. 1-2 Wien: 2012 S.39-41


2011


"Mir war wichtig, die Geschichte der Täter aufzuzeigen"
In: nu Ausgabe 46/2011 Gespräch mit Herbert Vogelmayr, Photos:
Verena Melgarejo S.32-36


2007

"Die Schuldfrage ist absurd!" (Interview). In: WELLNESS Magazin Wien
August 08/2007 S.36-38

Mit Worten eine Welt erschaffen (Interview). In: in südtirol Ausgabe 40
11. Oktober 2007 S.36-38


2004

"Schreiben ist meine Art zu atmen" (Interview). In: Brigitte Kultur
Sonderheft 2/2004 S.75

 

ARCHIV

2003:

Erschienen in VOLLTEXT ZEITUNG FÜR LITERATUR Nr.2/2003 April/Mai S.25


„Aus diesem Zustand holt dich keine Liebe mehr heraus…“

In ihrem zweiten Roman Die Zumutung schildert Sabine Gruber die Geschichte einer chronisch Kranken. Im Angesicht des bevorstehenden Todes seziert die Ich-Erzählerin minutiös und bisweilen ironisch ihre Defekte. Sandra Manhartseder sprach mit der Autorin über Dialogmöglichkeiten mit dem Tod, Einhörner als Entgifter und die Barrieren zwischen Kranken und Gesunden

VOLLTEXT Da war nichts, an dem ich mich hätte aufrichten können, kein vergleichbares Schicksal, heißt es einmal im Roman. Todgeweihte sind Auserwählte; das Wissen um den eigenen, individuellen Tod macht sprachlos, weil es sich dem Vergleich entzieht. Gibt es so etwas wie einen Narzissmus des Leidenden?

SABINE GRUBER Ob man von Narzissmus sprechen kann, weiß ich nicht – da ist mir zuviel Selbstliebe im Spiel. Marianne, die Ich-Erzählerin der Zumutung, ist in ihrem Verhalten als Kranke weder besonders rücksichtslos - was man von einer narzisstischen Persönlichkeit erwarten würde -, noch ist sie eitler als die anderen, die Gesunden. Die Selbstbeschäftigung ist eine vom Körper erzwungene und im Gegensatz zu Narziss, der sich lustvoll in Liebe verzehrt, eher angstbesetzt. Marianne muss ihren Körper lesen, die Zeichen entschlüsseln, um zu verstehen, was an ihm defekt ist, wie ein Überleben möglich sein kann. Den Auserwähltenstatus nimmt sie nicht in Anspruch, im Gegenteil – sie versucht ständig, die Normalität wiederherzustellen, was ihr zum Teil, aber eben nur zum Teil.
Die Suche nach einer Körper-Sprache entspringt eher dem Überlebenswillen – man könnte auch sagen, Marianne sucht nach einer Art Gebrauchsanweisung für ihren defekten Körper. Wer funktioniert, wird danach nicht suchen, wer aber suchen muss, findet.
Gesundheit zeichnet sich dadurch aus, dass sie erst ist, wenn sie sich entzieht. Solange sie sich nicht entzieht, bleibt sie unbemerkt. Gadamer spricht von der Gesundheit als dem „Wunder der Selbstvergessenheit“. Ein kleiner Defekt reicht ja schon, und das „Wunder der Selbstvergessenheit“ verwandelt sich aufgrund unseres Selbsterhaltungstriebes in Selbstreflexion.
Im Roman wird erst durch den defekten Körper der Ich-Erzählerin deutlich, dass vollständiges körperliches Wohlbefinden eine Art Utopie ist. Durch die Sprache/die Literatur wird etwas ersetzt, wozu der Körper nicht mehr in der Lage ist.

VOLLTEXT „Hast du nicht genug?“ fragte ich mich, als ich wieder auf dem Sofa saß. „Aus deinem Zustand holt dich keine Liebe mehr heraus.“ In dem Roman geht es immer wieder um verschiedene Dialogformen, die die Einsamkeit im eigenen Todesbewusstsein erträglich machen sollen: Man muss den Tod in ein Gespräch verwickeln, ihn ablenken. Er arbeitet weniger schnell, wenn man mit ihm spricht. Stellen die einigermaßen zahlreichen Liebesbeziehungen der Protagonistin eine Art Stellvertreter-Schauplatz für das unmögliche Gespräch mit dem Tod dar?

GRUBER Mariannes Todesbewusstsein äußerst sich körperlich als zunehmende Vergiftung. Man könnte auch in Anspielung auf die berühmten Tapisserien (Die Dame mit dem Einhorn) aus dem Musée de Cluny, die im Roman Erwähnung finden, sagen: die Liebe, genauer die giftvernichtende Heilkraft des Unicornus, kann vielleicht ein wenig Linderung schaffen. In Bezug auf den zitierten Satz muss natürlich die Wirksamkeit des Einhorns angezweifelt werden, aber vielleicht helfen ja zwei?

VOLLTEXT Paul, dachte ich, mein geliebter Paul unterbricht seine Beschäftigung mit der Vergangenheit und stellt sich der Gegenwart, ausgerechnet jetzt, wo ich lernte, ohne ihn zurechtzukommen. Zeitwahrnehmung spielt in dem Roman eine entscheidende Rolle: Der in der historischen Vergangenheit herumwühlende Freund ignoriert die Gegenwart Mariannes, die sich wiederum mit aller vorhandenen Lebensgier auf genau diese stürzt.

GRUBER Für den Todkranken ist der Augenblick der letzte Rest Zeit. Die Intensität des Moments verlangt, damit man sie voll auskosten kann, nach ungewisser Zukunft. Mariannes Zukunft ist gewisser als die der anderen – sie weiß um den Verbleib ihrer Lebenszeit, um den wahrscheinlichen Ausgang ihrer Krankheit. Deshalb stürzt sie sich natürlich auf das Jetzt, und sie holt sich auch die Vergangenheit ins Jetzt herein, weil sie die Zeit nur so dehnen kann.
Ihr Lebenswille ist ein Überlebenswille und hat nur ein Prinzip: die Kunst des Weitermachens.

VOLLTEXT Während wir stehen und beraten, wie der Abend enden soll, stütze ich einen Fuß an der Hauswand ab. Ich setze meinen Hintern auf die linke Ferse und fahre von unten ans Schienbein, drücke die Finger ins Fleisch und spüre die Delle. Das Wasser ist von den Lidern in die Beine gewandert. Das Wasser nimmt mir die Lust am Körper. Ich weiß, ich bin defekt; ich benütze mich, obwohl ich Angst habe, ich könnte explodieren.
Es ist da. Es ist mit neunzehn da, mit zwanzig, mit einundzwanzig. Es wird nicht besser, obwohl ich lache, als gehörte mir alles, was noch nicht ist. In den Wasserzeiten halte ich den Kopf in die Höhe; in den Wasserzeiten reicht mir Leo das Handtuch.
Einmal schwimmen wir vor Zuschauern um die Wette. Leo behauptet, dass er auf vierzig Längen vier voraus sei. Als ich mein Ziel erreiche, krault er seine einundvierzigste Länge, keucht und gibt sich geschlagen. Ich steige aus dem Becken, atme gleichmäßig, ruhig. Leo schnappt nach Luft, putzt sich die Nase und trocknet mich ab. „Meine Liebe“, sagt er, „meine Unbesiegbare. Wärst du in der DDR groß geworden, sie hätten aus dir eine Schwimmerin gemacht.“ Ich aber schwimme nur mehr in mir drinnen. Ich liege auf dem Rücken und halte den Atem an, ziehe ruckartig den Bauch ein, bis es gluckert.
„Das sind die Frösche“, höre ich meine Großmutter sagen, „sie wachsen, weil du zuviel trinkst.“ Sie nimmt ihr Ohr von meinem Bauch und zwickt mich in die Oberarme und Hüften, bis ich mich auf der Couch wälze und in lautes Gelächter ausbreche.
Ich trinke auf dem Schulweg, in den Pausen, vor dem Essen, trinke, wenn ich nicht trinken darf. Ist keine Flüssigkeit in der Nähe, trinke ich in meinen Tagträumen. Ich stelle mir eine dünne Porzellanschale mit eiskaltem Brunnenwasser vor. Die Frösche werde ich nicht mehr los. Mit jedem Bissen füttere ich sie, nach jedem noch so kleinen Schluck glaube ich an ihre Vermehrung. Sie hindern mich am Einschlafen, kein Vernunftsatz kann sie vertreiben, kein Gelächter bringt sie zum Schweigen. Mein Bauch ist ein kleiner See voller Schallblasen.
„Jetzt trinkst du nicht.“ Und ich trinke doch. Trinke hinter dem Rücken meiner Mutter das abgestandene Wasser aus dem Gartenschlauch, trinke, obwohl bald Essenszeit ist und mir bei jedem Schluck der Geruch von Gummi in die Nase steigt.
Es betrifft keinen, auch Leo nicht. Es betraf nicht einmal mich selbst. Leo schützt mich vor meiner Überschwemmung.
Nicht nur akute Schmerzen, sondern im Trinken wird das völlig Alltägliche, das völlig Normale zum Erkennungszeichen des Nicht-Funktionierens.

GRUBER Der akute Schmerz und mythenerzeugende Krankheiten sind vordergründig vielleicht spannender, auch medienwirksamer. Mein Interesse galt der Darstellung von chronischem Leiden, das aus der Selbstdarstellung der postmodernen Welt ausgeschlossen ist. Der schleichende, andauernde Prozess gibt eigentlich zuwenig Stoff her, er manifestiert sich im Alltäglichen, in kleinen Abweichungen – diese Art der Konstruktion verlangt nach präziser Beobachtung.

VOLLTEXT Ich dachte an die Zahlen, die mich erwarteten, die längst feststanden, an die Befunde, die mir wie unbrauchbare, kunsthistorische Informationen erschienen, als könnte es je genügen, die Entstehungszahlen und Formate der Alten Meister auswendig zu lernen, um diese verhaltenen Emotionen auszudrücken, die Schmerzen in der bewegten Mimik, in den Gesten der Glieder.
Wenn ich tagträumte, spann ich Resultate aus wissenschaftlichen Forschungen zu einem wohligen Netz. Ich lag darin wie in einer Hängematte und wiegte mich für kurze Zeit in Sicherheit. All die Defekte, Schwächen und Irritationen, jene Maschen, durch die ich immer wieder auf den Boden gefallen war, schienen geflickt. [...] Der Tod, dachte ich in solchen Augenblicken, wird sich noch wundern. Er, der alle Zahlen negiert, wird immer öfter weggeschickt werden, weil er zu früh angeklopft hat.
Im Roman gibt es eine Spannung zwischen dem Erleben der Krankheitssymptome und deren Übersetzung in medizinische Fachtermini und grafische Abbildungen (diverser „Werte“). Marianne lernt diese Sprache, auch wenn sie ihr nicht glaubt.

GRUBER Lange Zeit waren nur die Ärzte berechtigt, in ihrer Terminologie über den Körper, die Schmerzen zu sprechen, sie hatten die alleinige Autorität, und der Patient blieb im etymologischen Sinne des Wortes der Erduldende. Die Biomedizin hat inzwischen dazugelernt, sie integriert die Sprache des Kranken, grenzt sich aber noch immer sehr stark vom Narrativen ab. Marianne erzählt einerseits von ihrer Krankheit, um sich von dieser anti-narrativen Institution des Krankenhauses abzugrenzen, ihr etwas entgegenzusetzen, andererseits weiß gerade sie, die sich nicht mit religiösen oder esoterischen Schicksalsinterpretationen beruhigen lässt, sehr genau, dass sie als Kreatur einer fehlerhaften und letztlich auch grausamen Evolution nur auf die Korrekturmöglichkeiten der Wissenschaft insbesondere der Medizin zählen kann.

VOLLTEXT In einer Szene in einem Kaffeehaus geht das bezeichnenderweise alkoholschwangere Gespräch in Richtung Gentechnik und den von ihr erwartbaren medizinischen Fortschritt. Klare moralische Wertungen lassen sich nur begrenzt daraus ableiten.

GRUBER Marianne vertritt einen klaren Standpunkt: den der Kranken. Wer mit einem Fuß im Reich der Toten ist, verliert die ethischen Bedenken gegen die Gentherapie; das nachzuvollziehen, ist Gesunden nur bedingt möglich. Es gibt eine Kluft zwischen Kranken und Gesunden, die schwer überbrückbar ist; Marianne hat hierfür ein Wort: sie nennt die Gesunden „Körper-Analphabeten“. Das Dilemma ist, dass eine Alphabetisierung nur dort möglich ist, wo die Zeichen am eigenen Körper gelesen werden müssen. Glücklicherweise gibt es auch Ärzte und Wissenschaftler, die genügend Empathie entwickeln, um sich für die andere Seite stark zu machen.

VOLLTEXT Der Tod, die Krankheit, das Leiden - lauter tragische Themen und doch verbietet die Zumutung ihrer Protagonistin jegliches Selbstmitleid. Versteht der Tod Humor?

GRUBER Humor und Ironie haben eine realitätsabweisende Wirkung – einzig und allein damit kann man sich am Tod rächen.